Wann sollte ich eine Aktie wieder verkaufen? // Investment-Manifest

Faust
Lesezeit: 6 Minuten

Beim Blick in mein Depot habe ich mich schon öfter gefragt, warum ich eine bestimmte Aktie oder Fonds eigentlich gekauft habe. Besonders häufig kommt diese Frage auf, wenn die Position gerade tief in den roten Zahlen steht. Aber ist dann auch der richtige Zeitpunkt zu verkaufen? Vielleicht sollte ich lieber abwarten, bis der Kurs sich wieder ein bisschen erholt hat?

Genauso kann sich diese Frage aber auch stellen, wenn eine Aktien gerade richtig gut läuft. Die beste Aktien in meinem Depot steht gerade bei +264% seit Kauf. Also am besten verkaufen und die Gewinne mitnehmen? Aber vielleicht steigt sie ja noch weiter, denn immerhin ist sie bisher doch auch so gut gelaufen?

Länger nachdenken bringt nicht immer bessere Ergebnisse

Meiner Erfahrung nach gilt: Je mehr man hin und her überlegt, desto schlechtere Entscheidungen trifft man für sein Depot. Da niemand die Zukunft vorhersagen kann, heißt „schlechte Entscheidung“ in diesem Zusammenhang meist, dass man sich über sich selbst ärgert, falls der Kurs doch weiter gestiegen/gefallen ist nach dem Verkauf. Oder man eben doch nicht „im richtigen Moment“ verkauft hat. Gerade Neulinge am Aktienmarkt können von solchen kleinen Rückschlägen schnell demotiviert werden. Falls sie dann der Börse für immer den Rücken kehren, wäre das für ihre Altersvorsorge fatal.

Ein sehr hohes Ross.

Die Frage nach dem richtigen Verkaufszeitpunkt stellt sich insbesondere bei einem Investment in Einzelaktien. Jetzt könnte ich mich natürlich auf ein hohes „Buy-and-Hold-ETF“-Ross setzen und müde auf all jene hinablächeln, die versuchen mit ihren Aktieninvestments den Markt zu schlagen. „Langfristig schlagt ihr den Markt sowieso nicht!“, könnte ich ihnen zurufen. Denn wer langfristig durch ETFs in den Markt investiert, hat diese Probleme, den richtigen Verkaufszeitpunkt abzupassen natürlich nicht. Aber…

  • A) Würde ich da all die Fehlkäufe und (viel, viel zu späten) Verkäufe ignorieren, die ich selbst schon getätigt habe, bis ich jetzt bei „meiner“ ETF-basierten Buy-and-Hold-Strategie angekommen bin und
  • B) Macht es vielen Leuten ja auch Spaß, in Einzelaktien zu investieren oder sogar ins Trading einzusteigen. Für die ist der heutige Artikel aus meiner Sicht besonders geeignet.

Zwar kann einem keiner die Kaufentscheidung für bestimmte Aktien abnehmen (auch nicht die ganzen Börsenbriefe voller Empfehlungen). Aber zumindest für gute Verkaufsentscheidungen gibt es einen Trick aus der Finanzpsychologie, den ich gerne näher vorstellen möchte: Schreibe dir selbst ein Investment-Manifest.

Was ist ein Investment-Manifest?

Viele große Fondsgesellschaften veröffentlichen ein Investment-Manifest (hier z.B. das von Blackrock). Darin erklären sie mit vielen schönen Worten, dass sie mit dem Geld ihrer Kunden natürlich verantwortungsbewusst umgehen werden. Je nach Fondshaus werden manchmal auch noch weitere Buzzwords wie „nachhaltige Geschäftsmodelle“ oder „soziale Verantwortung“ eingebaut. Meist sind diese Pamphlete das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, da sie absolut nichtssagend und fast gleichlautend wie beim Wettbewerber sind.

Interessanter sind da schon die Investment Guidelines, die manchmal sogar Fonds-spezifisch veröffentlicht werden. So gibt es manche aktiv gemanagten Fonds, die sich selbst recht strenge Regeln setzen. Zum Beispiel, welchen Anteil das größte Fondsinvestment maximal ausmachen darf (z.B. 5%). Oder dass nur in Unternehmen investiert wird, die bestimmte ESG-Kriterien erfüllen. Meist geht es hier aber um Governance-Kriterien, wie z.B. ob ein Finanzdienstleister die Principles for Responsible Investing (PRI) unterschrieben hat.

Privat-Manifest

Doch auch als Privatperson ist es möglich, sich selbst ein Investment-Manifest zu geben. „Ich investiere nicht in Tabakunternehmen“ könnte eine Aussage in einem solchen Manifest sein. Oder auch „Keine Aktie in meinem Portfolio soll mehr als 30% meines Gesamtvermögens ausmachen“. Es ist hilfreich, seine Investmententscheidungen bewusst zu treffen und für sich selbst zu dokumentieren.

Noch besser und konsequenter wäre es aber, bei jedem Kauf einer Aktie (oder eines Fonds) ein eigenes kleines Manifest aufzusetzen. Das muss auch kein 20-seitiger Aufsatz sein. Im Prinzip reichen zwei Angaben:

Kaufgründe: Warum hast du diese Aktie gekauft?

Welche Annahmen über die Zukunft des Unternehmens hast du getroffen (Umsatzwachstum, Gewinnentwicklung, Innovationskraft, Management, Branche/Wettbewerber)?

Welche Annahmen über die Zukunft allgemein sind implizit enthalten (z.B. zu Klimawandel, demographische Entwicklung, Erfindungen, Kundenverhalten, Handel/Wirtschaftswachstum, etc.)?

Was für eine Kursentwicklung und Dividendenpolitik erwartest du? Eher seitwärts (dafür vielleicht verlässlicher Dividendenzahler)? Starker Anstieg in den nächsten X Monaten? Stetige Dividendenerhöhung? Eine Verbesserung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses?

Welche weiteren Annahmen oder Wetten gehst du mit dem Kauf ein?

  • …erfindet bald X
  • …bringt bald neues Produkt Y heraus
  • …wird von Ereignis Z profitieren
  • …solange der Fondsmanager Dagobert Duck nicht in Rente geht, wird dieser Fonds den Markt durch seine überlegene Strategie übertreffen

Verkaufstrigger: Warum würdest du diese Aktien wieder verkaufen?

Je nachdem, aus welchen Gründen du die Aktie gekauft hast (konkrete Erwartung oder langfristiger positiver Ausblick für das Unternehmen), gibt es auch verschiedene Gründe für einen Verkauf. Teilweise lassen sich diese natürlich auch kombinieren:

  • An einem bestimmten Tag (z.B. zwei Tage vor meinem Geburtstag oder nachdem die Hauptversammlung über ABC entschieden hat oder vierzehn Tage nachdem das Produkt Y auf dem Markt ist)
  • Bei einem bestimmten Kurs (z.B. bei 30% Gewinn oder einer Verdopplung des Kurses, aber natürlich auch, wenn die Aktie z.B. um 30% abgestürzt ist)
  • Nur, wenn die Kaufgründe nicht mehr haltbar sind (Buy-and-Hold)

Wer sich für den Verkauf an einem bestimmten Tag entscheidet, kann sich auch direkt eine Erinnerung im Kalender setzen. Das ist aber wohl eher ein ungewöhnlicher Verkaufstrigger. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass man diese Strategie anwendet, wenn man z.B. Eigenkapital für einen Immobilienkauf trotz eines eigentlich zu kurzen Anlagezeitraums am Aktienmarkt investieren möchte. Mit einem festen Verkaufsdatum kann man vielleicht vermeiden, sich bei Verlusten zu sehr zu ärgern bzw. den Verkauf unnötig hinauszuzögern (und dann ggf. noch mehr zu verlieren). Ob das feste Verkaufsdatum dabei hilft, sich bei Verlusten weniger zu ärgern? Wenn man sich das Risiko eines Verlusts durch die Dokumentation im Investment-Manifest wirklich bewusst gemacht hat, hilft es vielleicht schon.

Wer sich einen bestimmten Zielverkaufskurs setzt, kann direkt bei Kauf eine Limit-Order mit maximaler Gültigkeit einstellen. Innerhalb der Gültigkeit verkaufen sich die Aktien dann von quasi selbst wieder, sobald der Wunschkurs erreicht ist. Das geht als sogenannte Stop-Loss-Order auch zur Begrenzung von Verlusten. Solch eine Limit-Order ist besonders dann üblich, wenn die Aktie im Laufe der Zeit bereits deutlich über den ursprünglichen Kaufkurs gestiegen ist und man diese Gewinne nicht wieder vollständig verlieren möchte. Dann aktualisiert man sein früheres unlimitiertes Buy-and-Hold Investment-Manifest um diesen „Minimumgewinnkurs“.

Wer sich für Buy-and-Hold entscheidet, muss natürlich nicht jeden Tag prüfen, ob die Kaufgründe noch valide sind. Aber einen gewissen Turnus sollte man sich trotzdem gleich beim Kauf setzen. In diesem Turnus kann man seine Entscheidung dann gründlich auf den Prüfstand stellen und ggf. sogar das Manifest anpassen.

Auch wenn ich es bei meinen drei Einzelaktien selbst nicht unbedingt durchziehe: Wer in Einzelaktien investiert, sollte eigentlich zu jedem Zeitpunkt zumindest einen groben Überblick besitzen, welche Nachrichten es zum Aktienunternehmen gibt. Nur so kann man sehr zeitnah mitbekommen, falls sich tatsächlich katastrophale Neuigkeiten (wie z.B. bei Wirecard dieses Jahr) ankündigen, um dann ggf. reagieren zu können – je nachdem, was im Manifest als Handlungsanweisung an einen selbst steht. Ein schriftliches Investment-Manifest hilft andersherum aber auch, bei schlechten Nachrichten oder Kursstürzen nicht gleich in Panik bzw. Aktionismus zu verfallen. Solange die Kaufgründe noch gelten, kann man auch an der Entscheidung festhalten.

Der „Tagebucheintrag“ im Investment-Manifest könnte pro Aktie insgesamt so aussehen:

Datum der Kaufentscheidung:TT.MM.JJJJ
(Angestrebter) Kaufkurs:100 Euro
Kaufgründe:– Zukunftsbranche, weil…
– In Zukunft passiert…
– Dividendenrendite über X%
– Kurs-Gewinn-Verhältnis unter Y
– Wette auf Ereignis X (z.B. wird bald in Index aufgenommen, entwickelt ein neues Medikament, etc.)
– …
Verkaufstrigger:Festes Datum / Fester Kurs / Buy & Hold (inkl. Turnus für Überprüfung)
Ggf. Details zum Kauf / Verkauf:

Mit Beispielen ist alles einfacher zu verstehen (hoffentlich)

Bisher klingt das alles ziemlich theoretisch und vielleicht eher verwirrend als hilfreich. Daher werde ich im nächsten Artikel für zwei meiner Aktien mein eigenes Investment Manifest (zum Kaufzeitpunkt und aus heutiger Sicht) veröffentlichen.

Nachdem ich diese Übung für den Artikel zweimal „durchgeturnt“ habe, glaube ich, dass ein Investment-Manifest nicht nur beim Verkauf, sondern auch schon beim Kauf hilft, diszipliniert zu investieren. Auch nur drei kurze Stichpunkte zu notieren, bringt mich schon zum Nachdenken über die Unternehmen und Branchen, in die ich investiere.

Da lobe ich mir doch meine Welt-BIP-ETF-Strategie. Da ist die einzelne Kaufentscheidung nicht so kompliziert. Aber vielen Investoren macht gerade diese Recherchephase über die Unternehmen und verschiedene Branchen ja Spaß. Hoffentlich hilft dir in diesem Fall die Idee des Investment-Manifests!

Hast du dir auch schon einmal ein Investment-Manifest geschrieben? Findest du diese Idee hilfreich? Über welche Kaufgründe der Vergangenheit kannst du heute herzlich lachen? Investierst du gerne in Einzelaktien? Wie viel Zeit und Aufwand steckst du vorher in die Recherche des jeweiligen Unternehmens?

2 Replies to “Wann sollte ich eine Aktie wieder verkaufen? // Investment-Manifest”

  1. Hi,

    beim langfristigen Investieren ist eine einfache Strategie schnell gefunden. Man investiert regelmäßig und fertig. Bei kurzfristigen Investments geht es meiner Meinung nach überhaupt nicht ohne Trading-Strategie. Deshalb habe ich mir auch einer Strategie bzw. Regeln unterworfen 🙂

    LG
    Yannic

    1. Hallo Yannic, sehe ich genauso. Für ein normales Welt-ETF-Portfolio braucht man keine ausgeklügelte Strategie – hier ist einfach besser. Aber meiner Einschätzung nach haben die meisten Aktionäre doch zumindest ein paar Einzelaktien und die wenigsten davon haben ihre Kauf- und Verkaufsgründe ordentlich durchdacht, egal ob dies in Form eines Investment-Manifest ist oder nicht. Da zähle ich mich selbst ja auch dazu 🙂
      Viele Grüße
      Jenni

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