Gastbeitrag: Was hat sich verändert? // The not so boring middle

Nach mittlerweile mehr als 5 Jahren wird es (anscheinend) mal wieder Zeit für einen Gastbeitrag von mir…
Ah shit, here we go again.
Was hat sich seitdem verändert? Was ist gleichgeblieben? Haben wir noch neue Erkenntnisse dazugewonnen?
Zuallererst natürlich das Offensichtliche: Wir arbeiten weiterhin an unserem FIRE-Plan, und das Ziel ist weiterhin (grob) die „Rente“ mit 45.
Kaum zu glauben, dass sich unsere angepeilte Restarbeitszeit seit dem letzten Artikel schon um 33% reduziert haben soll… Ändert leider nichts daran, dass sich der Weg für mich immer noch weit anfühlt, auch wenn solche Rechenspiele einem immer mal wieder zeigen, wie weit man doch schon gekommen ist.
Großartig verändert hat sich unser Vorgehen nicht wirklich: Unsere Gehälter (und damit auch die Sparraten) sind etwas gestiegen, allerdings ist in den letzten 5 Jahren auch alles erheblich teurer geworden. Wenn wir Glück haben, hält es sich in etwa die Waage, aber ich habe den leisen Verdacht, dass unsere nominelle Sparrate zwar gestiegen, die reelle Sparrate aber eher gesunken ist… Zahlen habe ich dafür allerdings nicht, ist nur ein Bauchgefühl (aber vielleicht ja ein mögliches Thema für einen neuen Blog-Beitrag? 😉).
The boring middle? Von wegen!
In der FIRE-Community nennt man diese Phase glaube ich „the boring middle“ – die Sparpläne sind eingerichtet, die eigenen Ausgaben einmal gründlich durchleuchtet und dann läuft alles vor sich hin, bis man idealerweise irgendwann in „Rente“ geht. „Boring“ klingt zwar sehr negativ, ist an dieser Stelle aber ja eigentlich etwas Gutes: Man hat einen Modus gefunden, der für einen funktioniert, und jetzt braucht es Geduld und natürlich etwas Glück an den Märkten. Ich finde es grundsätzlich eher positiv, wenn ich mich mit etwas nicht mehr aktiv beschäftigen muss und es „einfach so“ weiterläuft.
Ebenfalls relativ unverändert und weiterhin positiv hervorzuheben ist meine Ausgabendisziplin – wer sich noch an meinen letzten Artikel erinnert, der hat vielleicht noch im Kopf, dass ich zu diesem Zeitpunkt gerade den Übergang von relativ ungezügeltem Konsumverhalten hin zu bewussteren und wohlüberlegten Käufen geschafft hatte, mir aber unsicher war, ob ich diese Disziplin würde halten können.
Nach 5 Jahren kann ich sagen: Ja, konnte ich! Ich gebe zwar weiterhin gerne Geld für „die schönen Dinge des Lebens“ aus, aber versuche primär auf Qualität, Langlebigkeit und Zeitlosigkeit zu setzen. Vor allem die Frage „wofür und wie oft würde ich diesen Gegenstand benutzen“ ist dabei zentral für meine Kaufentscheidung geworden. Für regelmäßige Leser*innen dieses Blogs ist diese Frage wahrscheinlich ein alter Hut, aber für mich war doch sehr ermutigend zu sehen, dass solche oft wiederholten „Weisheiten“ eben nicht nur Plattitüden sind, sondern einem wirklich dabei helfen können, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen (und auch dauerhaft zu ändern).
Auf der anderen Seite gab es natürlich auch einige größere Veränderungen, allen voran den Hauskauf mit anschließendem Umzug. Das wird für einige von euch wahrscheinlich eine ziemliche Überraschung gewesen sein, da Jenni in ihren Artikeln immer eher skeptisch gegenüber einer Immobilie war (und das auch, fairerweise, aus guten Gründen). Es wird also vermutlich niemanden überraschen, dass dieses… nennen wir es mal Abenteuer hauptsächlich auf meinem Mist gewachsen ist.
Ich war schon immer eher Team Immobilie – ehrlicherweise hauptsächlich aus psychologischen Gründen, aber auch die bessere Planbarkeit von (laufenden) Kosten und die Unabhängigkeit von der Willkür eines Vermieters waren für mich wichtige Faktoren.
Jenni wird in ihrem hoffentlich bald erscheinenden Artikel zum Hauskauf Teil 2 sicherlich nochmal mehr im Detail auf die Zahlen und die von uns angestellte Rechnung eingehen, daher werde ich das hier kurzfassen. Nur so viel sei dazu gesagt: Ja, es hat vermutlich eine Auswirkung auf unseren FIRE-Plan. Aber inspiriert von diesem Artikel zu Slow FI wollte ich das Problem nicht nur rein monetär, sondern auch aus dem Gesichtspunkt meiner allgemeinen Lebenszufriedenheit angehen. Nach Einigung auf ein Budget lief die Entscheidung letztendlich auf die Frage hinaus „lieber 10 Jahre arbeiten in einer Wohnung, oder 11 Jahre in einem Haus mit Garten?“ – und so betrachtet fällt zumindest mir die Antwort sehr leicht.
Alte und neue Hobbys
Ich habe in der Corona-Pandemie das Gärtnern als Hobby für mich entdeckt. In einer Wohnung ist man dabei natürlich etwas eingeschränkt, aber dank einem großen Balkon in unserer alten Wohnung war auch dort schon einiges möglich und meine Kollegen immer sehr erstaunt, was wir doch alles „aus eigenem Anbau“ hatten, wenn auch meist in eher überschaubaren Mengen. Als die Pandemie dann irgendwann vorbei war, ist meine Liebe zum Gärtnern allerdings geblieben – und mit ihr der Wunsch, doch vielleicht irgendwann nochmal einen richtigen Garten zu haben, mit mehr Platz und generell besseren Bedingungen.
Anfang des letzten Jahres habe ich diesen Wunsch dann nochmal mit Jenni geteilt, und gemeinsam haben wir uns dann doch einmal ernsthaft mit dem Thema Immobilie auseinandergesetzt. Die zentrale Frage war dabei: Wie viel sind uns die Vorteile eines Eigenheims wert? Oder konkret: Wie viel länger müssten wir dafür arbeiten, und sind wir dazu bereit? Schnell hat sich gezeigt, dass die Vorteile beim Garten längst noch nicht zu Ende sind – auch ein zweites Arbeitszimmer, eine Werkstatt für zukünftige DIY-Projekte, ein Vorratskeller zum Lagern von (idealerweise selbst angebauten) Lebensmitteln und natürlich allgemein mehr Platz und mehr Gestaltungsspielraum sind durchaus starke Argumente.
Das Ergebnis dieser Überlegungen ist bereits bekannt, also warum erwähne ich es noch einmal? Weil FIRE für mich trotz aller finanziellen Aspekte am Ende doch eher eine Art Lebensphilosophie ist – wie soll mein Leben aussehen, und wie komme ich (möglichst schnell) dort hin? Dabei muss man (wie auch im oben verlinkten Artikel erwähnt) nicht streng zwischen den Lebensphasen „Arbeit“ und „Rente“ trennen, im Gegenteil: Auch in der „Arbeit“-Phase kann ich meine gesteigerten finanziellen Möglichkeiten bereits nutzen, um meine Lebenszufriedenheit im Hier und Jetzt zu steigern, sei es durch eine Reduktion der Arbeitszeit, einen Wechsel in einen weniger stressigen (und damit vielleicht auch schlechter bezahlten) Job oder wie in unserem Fall durch einen Immobilienkauf.
Gerade während der „boring middle“-Phase neigt man möglicherweise dazu, diesen Aspekt aus den Augen zu verlieren und sich zu sehr auf den Vermögensaufbau zu fokussieren; dabei ist der Vermögensaufbau aber am Ende des Tages kein Selbstzweck und der Kontostand nur eine numerische Repräsentation für die gestiegenen Möglichkeiten, das eigene Leben positiv zu verändern.
Ich finde es wichtig, sich das immer wieder vor Augen zu führen und die eigenen Pläne regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. Selbst mit einer idealerweise relativ kurzen Zeit bis zur „Rente“ geht dann doch immer noch einiges an Zeit ins Land, in denen sich sowohl die äußeren Umstände als auch die eigenen Vorstellungen kontinuierlich verändern können.
Rente gut, alles gut?
Ebenso valide finde ich die Überlegung einer „Kür“ nach der „Pflicht“ – vielleicht habt ihr ja einen speziellen Wunsch, der finanziell viel zu unvernünftig ist, um ihn guten Gewissens mit FIRE zu vereinbaren. Wärt ihr bereit, nach Erreichen eurer FIRE-Summe dafür noch ein halbes Jahr länger zu arbeiten? Oder vielleicht ein ganzes Jahr? Mit dem Framing „ich bin eigentlich bereits FI und arbeite jetzt nur noch freiwillig weiter, um mir einen ganz besonderen Wunsch zu erfüllen“ lässt sich ein zusätzliches Jahr vermutlich deutlich leichter ertragen, weil man ein konkretes Ziel vor Augen hat. Das kann eine lang erträumte Reise sein, ein Oldtimer oder der Motorradführerschein (+ Motorrad), der einem sonst immer zu teuer war… In meinem Fall wäre es wahrscheinlich etwas deutlich Irrationaleres (das nebenbei alle guten Vorsätze zum Konsumverhalten über Bord wirft) – aber ob ich wirklich bereit bin, dafür noch ein Jahr dranzuhängen, das sehen wir dann, wenn es soweit ist…
Die Frage nach dem eigenen Lebensentwurf muss natürlich jede(r) von euch selbst beantworten, dabei kann euch auch kein Blog helfen. Ich bin aber sehr froh, dass ich sie mir nochmal gestellt habe – und natürlich auch, dass Jenni ebenso flexibel und kompromissbereit war. Mir geht es jetzt in unserem neuen Zuhause merklich besser als in der alten Wohnung, sodass die (Stand jetzt) 11 Jahre bis zur „Rente“ sich wahrscheinlich weniger lang anfühlen werden als es 10 Jahre in einer Wohnung getan hätten. Fairerweise sei aber gesagt: Vergnügungssteuerpflichtig war das Ganze sicherlich nicht – umziehen ist schon ohne das restliche Drumherum eines Immobilienkaufs stressig genug, und wie jeder Immobilienbesitzer (und das Hornbach-Marketingteam) weiß, ist immer was zu tun… Aber positiv gedacht haben wir jetzt immerhin weitere Möglichkeiten, um in der RE-Zeit unseren Tag zu füllen 😉
Stellt ihr eure Ziele und aktuellen Lebensentwürfe auch regelmäßig auf den Prüfstand? Wofür wärt ihr bereit, ein Jahr länger zu arbeiten? Und wie steht ihr zu Immobilien, sowohl allgemein als auch im FIRE-Kontext?

Ich persönlich würde auch das Eigenheim mit Garten bevorzugen. Ich habe den Schritt bis jetzt nicht bereut auch wenn das Eigenheim finanziell gesehen nicht perfekt ist, aber die Kosten sind es wert. Genieße den Feierabend im Garten und vielleicht brauchst du dadurch gar nicht viel früher mit den arbeiten aufzuhören, weil du nen Ausgleich hast.
Die Kür ist ja: Ausgeglichen im Job und trotzdem früher aufhören zu arbeiten 😉
Das Thema Ausgabe Disziplin ist vermutlich für viele der größte Hebel. Wobei sicher auch die Familienplanung (sofern sich das planen lässt nicht jeder hat das Glück/Option das zu planen – aber das ist ein anderes Thema). Sprich: Solange ihr kindelos bleibt, habt ihr nun mal DINK dazu, die Ausgabenseite im Griff, dann ist das Ziel, mit spätestens Anfang 50 „durch zu sein“, definitiv realistisch.
Aber auch wenn sich so etwas ändert, findet sich ein weg trotzdem zufrieden zu sein 😉
Viel Erfolg weiter dabei!
Grüße
Thomas