Wie viele Aktien braucht es für echte Diversifikation? // Globale Index-ETFs

Free lunch
Lesezeit: 6 Minuten

Als ich vor einigen Wochen die verschiedenen globalen Index-ETFs verglichen habe, ist mir aufgefallen, dass die Anzahl der Einzeltitel im jeweiligen Index recht unterschiedlich ist. Im MSCI World befinden sich 1.540 Aktien, während der Solactive GBS Developed Markets bereits 1.617 enthält. Der FTSE Developed ist mit 2.223 noch einmal ein ganzes Stück größer. Ich habe mich gefragt: Macht die Anzahl der Einzeltitel in einem ETF überhaupt noch einen Unterschied für die Diversifikation bei einem sowieso schon so breit diversifizierten Weltindex?

Mehr = besser bei der Diversifikation?

Je besser diversifiziert ein Investmentportfolio ist, desto geringer ist das Risiko im Vergleich zu einem schlechter diversifizierten Portfolio mit gleicher Rendite. Diversifikation kann das Risiko nie auf Null senken. Aber Diversifikation erlaubt es uns Investoren, alles unsystematische Risiko zu reduzieren. Das Gegenteil, systematisches Risiko, will ich als Investorin gerne in meinem Portfolio haben. Denn höheres systematisches Risiko – auch Marktrisiko genannt – bedeutet eine höhere Rendite.

Weg mit dem unsystematischen Risiko!

Unsystematisches Risiko möchte ich jedoch so gut es geht reduzieren. Hierzu gehört zum Beispiel das Risiko, das die Aktien eines einzelnen Unternehmens durch Management-Fehlentscheidungen oder Fehlverhalten abstürzen. In je mehr einzelne Unternehmen ich investiere, desto geringer ist die Auswirkung solcher firmenspezifischen Abstürze. Auch das Risiko, dass mein Portfolio darunter leidet, dass bestimmte Branchen eine Zeit lang schlechter als andere Branchen laufen, lässt sich durch Diversifikation senken. Diversifikation erlaubt es, das unsystematische Risiko zu reduzieren oder sogar auf Null zu senken. Übrig bleibt idealerweise nur noch das systematische Marktrisiko. Wenn ich dieses Risiko als Investorin eingehe, erhalte ich im Gegenzug dafür Rendite. Unsystematisches Risiko bringt mir gerade keine Zusatzrendite.

Diversification is the only free lunch in investing

Harry Markowitz, amerikanischer Wirtschafts-Nobelpreisträger

Kein Risiko = keine Volatilität?

Oft wird das Wort Risiko bei Aktien auch mit Volatilität, also Schwankungen, gleichgesetzt. Tatsächlich ist es so etwas einfacher, sich etwas hinter dem Begriff Risiko vorzustellen. Allerdings sollte es für langfristige Investoren nie das Ziel sein, ein Portfolio zusammenzustellen, das gar nicht schwankt. Wenn man nicht bereit ist, Schwankungen auszuhalten, ist das eigene Geld auf einem Tagesgeldkonto wohl besser aufgehoben. Was wir als Investoren erreichen wollen, ist keine unnötigen Schwankungen (=unsystematisches Risiko) zu erleben – nicht gar keine.

Ab wie vielen Aktien bin ich gut diversifiziert?

Bei meiner Recherche zu der Frage, ab wann ich gut genug diversifiziert bin, habe ich viele recht alte Artikel gefunden. In den 1970ern veröffentlichten zwei Wissenschaftler eine Analyse, die zu dem Ergebnis kam, dass man mit einem 16 Einzeltitel umfassenden Portfolio bereits 90% des Diversifikationseffekts abgreifen könne.

Später stellte sich heraus, dass die Studie nicht nur die falsche Art nutze, um Risiko zu messen, sondern dadurch auch zu falschen Ergebnissen führte. Tatsächlich erreicht man einen Diversifikationseffekt von 90% wohl erst ab 100 Einzeltiteln im Portfolio. Allerdings beziehen sich diese Zahlen alle auf die optimale Diversifikation innerhalb eines Markts, nämlich des US-amerikanischen Aktienmarkts. Bei mehreren Märkten (z.B. Amerika und Japan) oder innerhalb von Submärkten (z.B. amerikanischen Small Caps) ist jeweils diese hohe Zahl an Titeln notwendig.

Was die Wissenschaftler außerdem betonen: diese Reduktion von unnötigem Risiko im Vergleich zum Gesamtmarkt kann ich nur dann erreichen, wenn ich bei der Auswahl der Einzeltitel tatsächlich zufällig (nach Marktkapitalisierung gewichtet) vorgehe. Wer nur bestimmte Branchen (z.B. Unternehmen, die Alltagsgegenstände herstellen) oder Aktienkategorien (z.B. Growth) im Portfolio hat, wird trotz einer Vielzahl an Einzeltiteln nicht den vollen Diversifikationseffekt erreichen.

Kann man jemals zu breit diversifiziert sein?

Es gibt einige Stimmen, die Privatanleger vor zu viel Diversifikation warnen. Als Argument wird dabei vor allen auf den Verwaltungsaufwand verwiesen. Tatsächlich kann es schwierig sein, über 100 Einzeltitel im Auge zu behalten. Je nach Broker und Kaufstrategie kann so ein großes Portfolio auch kostspielig werden. Dazu kommt: die Zahl der benötigten Einzeltitel für das gleiche Level an gewünschter Diversifikation scheint über die Jahrzehnte weiter zuzunehmen.

Und nun?

Die Lösung für dieses Problem ist einfach: Mit einem Indexfonds bzw. entsprechenden ETF erhalte ich einen großen Diversifikationseffekt. Aber ich muss mich nicht um die aufwändige Verwaltung von hunderten Einzeltiteln kümmern.

Trotzdem können auch ETF-Investoren an „Diworsification“ leiden. Der Fondsmanager Peter Lynch erfand diesen Begriff 1989 für Unternehmen, die seiner Meinung nach in zu vielen Branchen gleichzeitig tätig waren. Inzwischen wird der Ausdruck aber für alle Arten von nicht vorteilhafter Diversifikation verwendet.

Vermeintliche Diversifikation (I): Versteckte Dopplungen

Die häufigste Form von Diworsification bei ETF-Privatanlegern entsteht meist aus Unwissen. Wer in einen MSCI World ETF und einen FTSE Developed ETF investiert, hat sein Risiko mit diesem 2-ETF-Portfolio im Gegensatz zu einem 1-ETF-Portfolio nicht gesenkt. Denn die beiden ETFs sind so ähnlich, dass kein positiver Diversifikationseffekt existiert.

Schlimmer ist es noch, wenn als vermeintliche „Diversifikation“ in ETFs investiert wird, die nicht nur keinen positiven Diversifikationseffekt ins Portfolio bringen, sondern sogar mehr Risiko (statt weniger) erzeugen. Ein Beispiel hierfür kann ein Portfolio sein, dass einen ETF auf einen Marktindex wie den S&P 500 und gleichzeitig einen „Dividenden-ETF“ aus dem gleichen Markt enthält (z.B. den Dow Jones Select Dividend). Morningstar bietet ein „X-Ray“ genanntes kostenloses Tool an, mit dem man überprüfen kann, wie unterschiedlich mehrere vermeintlich unterschiedliche ETFs tatsächlich sind.

Vermeintliche Diversifikation (II): Risikoerhöhende Diversifikation

Häufig höre ich von Finanzbloggern oder anderen begeisterten Privatinvestoren, dass sie „als Diversifikation“ neben Aktien auch andere Assetklassen wie P2P-Kredite oder Kryptowährungen in ihrem Portfolio halten. Es kann durchaus sinnvoll sein, nicht nur innerhalb einer Investmentkategorie wie Aktien zu diversifizieren, sondern mehrere Anlageklassen in das eigene Gesamtportfolio einzubeziehen.

Allerdings verändert sich in den meisten Fällen durch das Einbeziehen zusätzlicher Assetklassen auch die Rendite des Gesamtportfolios. Diversifikation im engeren Sinne ist allerdings gerade so definiert, dass sich die Rendite des Portfolios hierdurch nicht verändert. Idealerweise findet man also Anlagemöglichkeiten, die die gleiche Rendite wie Aktien bei geringer oder sogar negativer Korrelation mit den bestehenden Portfoliotiteln aufweisen.

Das ist gar nicht so einfach, da zum Beispiel Anleihen aktuell eine deutlich geringere durchschnittliche Rendite als Aktien aufweisen. Möchte ich mit Anleihen eine aktienähnliche Rendite erzielen, muss ich in absolute Hochrisiko-Titel investieren. Am Ende ist mein Gesamtportfolio deutlich risikoreicher. Das ist also keine sinnvolle Option für Diversifikation.

Gute Diversifikation erfordert geringe Korrelation

Anleihen, P2P-Kredite und Kryptowährungen haben ein ganz anderes Risiko-Rendite-Profil als Aktien. Und selbst bei P2P-Angeboten wie Bondora Go & Grow, die eine aktienähnliche Rendite von 6,75% pro Jahr bei „Tagesgeld-ähnlichem Risikoprofil“ versprechen, lohnt es sich genauer hinschauen. Denn Diversifikation erfordert vor allen Dingen eine geringe Korrelation der verschiedenen Investments. Bei P2P-Investments haben die Plattformkrisen der letzten Jahre gezeigt, dass Rezessionen und andere Wirtschaftskrisen P2P-Kredite genauso (oder schlimmer) als die Aktienmärkte treffen können.

Auch die Korrelation zwischen verschiedenen globalen Aktienmärkten (wie USA & Japan) ist heute deutlich höher als im vergangenen Jahrhundert. Das macht es für Einzelaktien-Investoren noch schwieriger, eine gute Diversifikation im Portfolio zu erreichen. Während es früher gereicht hätte, in 60 US-Titel und 60 japanische Aktien zu investieren, sind heute allein für ein gut diversifiziertes US-Portfolio schon über 100 Einzelaktien notwendig. Für den japanischen Markt müsste man dann wahrscheinlich noch einmal so viele Aktien dazukaufen und wäre trotzdem schlechter diversifiziert als früher.

Anderseits kann diese Entwicklung auch positiv gedeutet werden: Wenn die verschiedenen globalen Aktienmärkte immer stärker miteinander korrelieren, kann sich ein amerikanischer Privatinvestor die internationale Diversifikation vielleicht ganz sparen, ohne auf signifikante Diversifikationseffekte verzichten zu müssen. Heute sind wir jedenfalls noch nicht bei diesem Szenario angekommen. Und als deutscher Investor ist ein Home Bias auf Grund des wenig diversifizierten DAX40 noch problematischer.

Ich setze daher auf ein einfach globales ETF-Portfolio mit guter Diversifikation über die verschiedenen Ländern und Regionen. Jedem Neuinvestor würde ich raten, einfach einen einzigen ETF zu kaufen.

Welche ETFs sind am breitesten diversifiziert?

Maximale Diversifikationseffekte bietet der MSCI ACWI IMI (Investable Market Index) ETF mit über 9.000 Titeln Aktien aller Unternehmensgrößen aus 45 Industrie- und Schwellenländern. Die Kosten von 0,4% p.a. sind für diese absolut bestmögliche Diversifikation vertretbar. Höchstwahrscheinlich langt aber auch der „normale“ MSCI ACWI mit über 1.600 Positionen bzw. der FTSE All-World mit ca. 4.000 Positionen, die in ETF-Form für etwa die Hälfte der jährlichen Kosten der Investable Market Index-Version zu haben sind. Mit jeder dieser Optionen ist man sicherlich ausreichend diversifiziert.

Wie gut ist dein Portfolio diversifiziert? Achtest du auf eine gute Diversifikation oder spielen anderen Faktoren bei deiner Investmententscheidung eine Rolle? Wenn du ein Einzelaktien-Depot besitzt – wie stellst du eine ausreichende Diversifikation sicher?

7 Replies to “Wie viele Aktien braucht es für echte Diversifikation? // Globale Index-ETFs”

  1. Ich finde es besonders schade, dass Vanguard in Europa keinen ETF hat analog dem VT in den USA, welche den gesamten Weltmarkt abdeckt (mit ca. 9500 Firmen, und sogar nur 0.07% pro Jahr kostet). Der FTSE All-World deckt zwar mit etwa der Hälfe an Firmen 90-95% des Markts ab, aber gleich alles abzudecken wär praktisch.

    Wieso sich die ETF-Angebote doch ziemlich unterscheiden zwischen USA und Europa wär noch ein spannendes Thema – ob das an rechtlichen oder regulatorischen Unterschieden liegt, oder an der Grösse der ETFs, oder anderweitigen Faktoren.

    1. Gerade die Preisunterschiede bei der TER sind eher ein Zeichen des stärkeren Wettbewerbs bzw. einer deutlich stärkeren Aktienkultur in den USA. Nach einigen Jahren ziehen die Preise bei uns meistens auch nach (unten). Also können wir uns auf die Zukunft freuen 🙂

  2. Vorsicht beim Unterschied zwischen dem eigentlichen Index und dem ETF auf diesen. Beim FTSE All World macht das keinen großen Unterschied aus. Der Index enthält ca. 4.100 Werte, der zugehörige ETF von Vanguard 3750. Beim MSCI ACWI IMI hingegen enthält der Index stolze 9200 Werte, der zugehörige ETF von SPDR enthält dagegen nur „mickrige“ 1800 Werte. Da hat man es mit dem optimierten Sampling etwas übertrieben und das Ganze ist in meinen Augen eine Mogelpackung, denn beworben wird er natürlich mit der großen Abdeckung des Index. Man kann natürlich darüber streiten, ob das in den Größenordnungen noch eine Rolle spielt, oder ob nicht sowieso am Ende nur der Tracking-Error zählt.

    1. Hallo Marc,
      Danke für den Hinweis! Das Factsheet stellt das tatsächlich sehr missverständlich dar:
      Unter „Fondsinformation“ steht bei „Anzahl an Titeln: 9.201“. Damit ist aber dann wohl die Anzahl im Index, nicht im Fonds gemeint?!
      Auf der 2. Seite steht unter „Merkmale“ bei „Anzahl der Vermögenswerte: 1.826“.

      Ich habe ja im Prinzip nichts gegen synthetische Replikation, aber das ist in der Tat ein krasses Missverhältnis, was sich hier hinter dem „optimierten Sampling“ als physisch replizierend tarnt.
      Viele Grüße
      Jenni

  3. Hi Jenni,
    ein schöner Beitrag!
    Ich bin überwiegend in ETFs investiert. Allerdings habe ich später in ein paar Einzeltitel investiert – weil es Spaß macht. Das Kerninvestment wird immer ein ETF sein.

    VG Anna

  4. Ja, es stimmt, dass der ACWI IMI tatsächlich ’nur‘ 1.826 Werte enthält. Aber spielt die konkrete Anzahl der enthaltenen Werte überhaupt eine Rolle, wenn das Ziel damit erreicht wird?
    Das Ziel ist die möglichst exakte Abbildung des Index und nicht eine möglichst große Anzahl von unterschiedlichen Werten im ETF zu haben. Ich verweise dazu auf die teilweisen langwierigen Diskussionen zum Thema replizierende/swappende ETF. Bisher hat sich kein Fall ergeben, wo ein swappender ETF gegenüber einem replizierenden Nachteilig gewesen wäre.
    Was zählt ist einzig und allein die Abweichung vom/zum Index!

    Ich würde mich jedenfalls auch nicht besser/schlechter fühlen, wenn im ETF statt 1800 Unternehmen nun 3600 oder gar 7200 Unternehmen enthalten wären.

    1. Ich verstehe die weit verbreitete Abneigung gegen Swapper auch nicht so ganz… Aber wenn man als Anbieter mit dem Label „vollständig replizierend“ wirbt, muss man natürlich schon auch möglichst vollständig replizieren. Das Label „optimiertes Sampling“ ist jetzt vielleicht manchmal auch nur ein neuer Begriff für die in Ungnade gefallenen synthetisch replizierenden ETFs 😉 „Optimiert“ kann ja viel heißen. Mich stört es jedenfalls nicht vom Prinzip her, aber das korrekte Label sollte natürlich schon drauf sein.
      Viele Grüße
      Jenni

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