Warum ist Finanzwissen gerade in der Krise wichtig? // Wissen und Gewissheit

Schwebendes Buch
Lesezeit: 8 Minuten

Die Aktienkurse haben sich inzwischen schon fast wieder vom Corona-Crash erholt. Der Crash hatte uns Ende März teilweise über 30% Verlust beschert (verglichen mit den Höchstständen von Februar). Doch die Nachrichten sind momentan wieder voller Spekulationen über den nächsten Lockdown. Und kommt damit vielleicht auch schon der nächste Börsencrash? Gerade in solch einer turbulenten Zeit ist Finanzwissen enorm wichtig! Denn mit einer soliden finanziellen Bildung lassen sich ärgerliche Fehler vermeiden, die dich vielleicht sonst für immer vom Investieren abhalten würden.

Dieser Artikel ist Teil einer Blogparade, also einer Sammlung von Blog-Beiträgen zum gleichen Thema, die anlässlich des comdirect Finanzblog Awards 2020 veranstaltet wird. Schau dir hier gerne die anderen lesenswerten Beiträge zum Thema an.

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Welches Finanzwissen brauche ich wirklich?

Meiner Meinung nach ist es absolut nicht erforderlich, über jedes Finanzthema im Detail Bescheid zu wissen, um erfolgreich für das Alter vorzusorgen. Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich ein solides Finanzwissen besitze. Aber trotzdem gibt es viele Finanzthemen, bei denen ich (immerhin!) weiß, dass ich nur wenig über sie weiß.

Ich kann zum Beispiel nicht auswendig aufzählen, welche Aktien als „Dividendenaristokraten“ gelten. Ich weiß gerade genug über P2P-Kredite, um zu wissen, dass ich nicht in sie investieren möchte. Mit Immobilien habe ich mich bisher wenig beschäftigt, weil ich weiß, dass ich kein Eigenheim kaufen möchte und auch nicht Vermieter sein will. Wie Optionen funktionieren, habe ich nur in Grundzügen verstanden.

Klasse vor Masse

Doch das ist aus meiner Sicht überhaupt nicht schlimm. Zwar ist Diversifikation zur Reduzierung des eigenen Risikos wichtig. Aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass man seine Investitionen in jedem Fall über viele verschiedene Anlageklassen streuen muss. Auf Grund der Kostenstruktur vieler Anlageklassen ist das für Privatanleger oft alles andere als sinnvoll. Wenn die Investition in eine bestimmte Anlageklasse mit Fixkosten verbunden ist, muss ich einen gewissen Mindestbetrag investieren, damit sich die prozentualen Kosten der Investition im Rahmen halten. Deswegen investiere ich bei meinen Aktien z.B. auch oft größere Summen als Einmalbetrag statt mit einem monatlichen Sparplan.

Diversifikation um jeden Preis?

Auch eine Form von Diversifikation. Auch wenn das Risiko, nicht schlafen zu können, bei so viel Kaffee eher steigt als sinkt 😉

Ein Beispiel für eine Anlageklasse mit hohen Fixkosten beim Kauf ist Gold: Wer physisches Gold grammweise kauft, zahlt einen deutlich höheren Preis pro gekauftem Grammbaren (aktuell ca. 65€) als bei einem größeren 100g Goldbarren (5.471€, also ca. 55€ pro Gramm), da die höheren Gebühren für Herstellung und Transport der kleinen Grammtafeln auf den Käufer umgelegt werden.

Bei manchen Anlageklassen ist es nicht nur teuer, sondern sogar ziemlich schwierig, nur eine kleine Summe zu investieren, z.B. bei Immobilien. In dieser Anlageklasse wollen Banken für die Finanzierung meist mehrere Tausend Euro Eigenkapital sehen. Und auch die Kaufnebenkosten können sich schnell auf Zehntausende Euro belaufen. Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen, wie z.B. bei Vollfinanzierungen.

Aber von solchen Konstrukten würde ich jedem Finanzneuling, der vielleicht nur eine Sparrate von 50€ oder 100€ im Monat investieren kann, dringend abraten. Das Risiko bei Mietausfällen oder überraschenden Renovierungen wäre bei so geringen Rücklagen und Sparraten enorm. Vor allen Dingen, wenn man diese Sparrate auch noch auf verschiedene Anlageklassen aufteilen würde! Diversifiktion ist wichtig, aber man sollte sich meiner Meinung nach auch nicht verzetteln mit zu vielen Anlageklassen. 50€ pro Monat über einen idealerweise kostenlosen ETF-Sparplan in ein breit diversifiziertes Aktienportfolio zu investieren ist deutlich besser als jeweils 10€ in fünf Anlageklassen zu stecken und dabei nicht auf die Fixkosten der Investition zu achten.

Finanzwissen über Aktien und ETFs

Ich investiere derzeit nur in Aktien bzw. ETFs, da die anderen Anlageklasse aus verschiedenen Gründen nicht in Frage kommen für mein Portfolio. Und über diese Anlageklasse weiß ich deutlich mehr als über andere! Ein solides Finanzwissen zu besitzen heißt für mich nicht, über jede mögliche Anlageklasse genau Bescheid zu wissen. Frei nach dem Motto „(Anlage-)Klasse vor Masse“, konzentriere ich mich darauf, eine Anlageklasse wirklich gut zu verstehen, statt möglichst viele nur jeweils ein bisschen.

Psychologie vor Produktwissen

Ein Basisverständnis der technischen Grundlagen einer Anlageklasse ist wichtig. Stark unterschätzt wird aus meiner Sicht aber Finanzwissen über die Psychologie des Sparens, Investierens und der Märkte.

Basiswissen ETFs

Wer sich zum ersten Mal mit Aktien und ETFs beschäftigt, dem geht zum Glück schnell das sprichwörtliche Licht auf. So kompliziert ist es nämlich zum Glück alles gar nicht!

Zu einem soliden Basiswissen über Aktien/ETFs gehört meiner Meinung nach ein Verständnis über die Funktionsweise von Aktienfonds, den Aufbau von Indizes bzw. ETFs sowie die Mechanik, wie meine Investition das Unternehmen beeinflusst, dessen Aktien ich (über einen ETF) kaufe. In Diskussion zum Thema nachhaltige Geldanlage merkt man, dass gerade über den letzten Aspekt leider zu wenige Anleger genug wissen. Zusätzlich ist es hilfreich, zu verstehen, was bei einem Börsencrash eigentlich passiert und warum daher selbst ein heftiger Crash nicht gleichbedeutend mit Verlusten für mich ist.

Manche würden argumentieren, dass zu einem guten Finanzwissen über Aktien auch ein Verständnis von charttechnischen Analysen gehört. Ich verstehe dabei nur Bahnhof. Das ist allerdings auch nicht schlimm, da meine Investitionsstrategie nicht auf kurzfristiges Trading, sondern auf langfristiges Buy & Hold ausgerichtet ist. Das ist ein großer Unterschied, denn auf einen Investitionszeitraum von 15+ Jahre gesehen macht die momentane Stimmung, die die Chart-Analyse vorauszusagen versucht, absolut keinen Unterschied.

Genauso wichtig: Basiswissen zur Finanzpsychologie der Märkte

Was ich hingegen weiß, ist, dass Angst & Gier das Geschehen an den Aktienmärkten beeinflussen. Zuletzt hat man die Gier der Investoren beim Fall Wirecard eindrücklich gesehen. Und Angst war sicherlich die treibende Kraft hinter dem Corona-Crash im März. Laut dem Fear & Greed Index, den CNN täglich für den amerikanischen Aktienmarkt ausrechnet, befinden wir uns jetzt gerade aber schon wieder in einer Phase der Gier.

Wer tatsächlich ein solides Finanzwissen hat, der lässt sich weder von Gier noch von Angst in seinen Entscheidungen beeinflussen. Als „Homo Oeconomicus“ beachte ich eher Durchschnitte und Erwartungswerte als Einzelerfolge, Hypes und Empfehlungen von vermeintlichen Gurus. Für mich bedeutet ein gutes Finanzwissen nicht ein möglichst breites Präsenzwissen über alle möglichen Finanzprodukte oder komplizierte Rechen- und Analysemodelle.

Wissen und Gewissheit

Gutes Finanzwissen heißt für mich viel mehr die Gewissheit zu besitzen, dass mein Plan funktioniert. Durch mein Wissen über Finanzpsychologie kann ich Turbulenzen an Aktienmärkten erklären und daher weiterhin ruhig schlafen, auch wenn es mal 30% in einem Monat bergab geht – so wie dieses Jahr. Dazu ist es wichtig zu verstehen, dass auch positive Nachrichten (z.B. Gewinnsteigerungen) zu fallenden Aktienkursen führen können, wenn die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Oder andersherum schlechte Nachrichten (z.B. ein Umsatzrückgang) den Aktienkurs einen Unternehmens ansteigen lassen kann, wenn die Erwartungen vorher noch schlechter waren.

Ein gutes Finanzwissen bedeutet, sich nicht von Panik und Hypes anstecken zu lassen. Wer ständig ängstlich ist und seine eigenen Entscheidungen hinterfragt oder die gleiche Aktie in Panik verkauft, um dann aus Angst, etwas zu verpassen, doch wieder einzusteigen – der kann noch so viel über die Unterschiede von synthetisch und physisch replizierenden ETFs oder die Berechnung des NAV (Net Asset Value) wissen (um mal ein paar Spezialthemen zu nennen). Ein gutes Finanzwissen hat diese Person meiner Meinung nach trotzdem nicht!

Die Suche nach immer mehr Finanzwissen

Mal wieder ein Stockphoto aus der Kategorie „Warum nur?“ 😉

Ich beobachte in letzter Zeit in verschiedenen Finanz-Gruppen auf Facebook oder Finanz-Accounts auf Instagram einen Trend. Das läuft oft so ab:

  • Finanz-Neulinge starten mit viel Motivation und Neugier auf ihrem Weg zum Investor
  • Sie lesen sich einige Wochen lang gründlich ein in die Welt der Aktien und ETFs, denn sie wissen „Kauf nur, was du verstehst!“ (ein Mantra der Finanz-Coaches)
  • Zuerst wird ein Notgroschen von 3 Monatsgehältern aufgebaut (wieder so eine Art Mantra, auch wenn 3 Monatsgehälter für einige viel zu wenig sein kann)
  • Danach werden oft bestehende Altersvorsorgeprodukte, wie ein Riester, auf den Prüfstand gestellt und dann auf Grund der hohen Kosten gekündigt
  • Gleichzeitig legen sie sich ein Depot zu, setzten einen ETF-Sparplan auf und sind dann extrem stolz darauf, ihre Finanzen endlich selbst in die Hand genommen zu haben

Zu Recht, denn es ist ein großer Schritt, sich endlich um seine Altersvorsorge gekümmert zu haben. Die Euphorie über all das neu hinzugewonnene Wissen über Aktien und ETFs ist groß. Erstaunlicherweise hat es sogar Spaß gemacht, sich mit Finanzthemen zu beschäftigen. Was ist also der nächste Schritt?

Einzelaktien? Growth oder Value-Investing? Jeden Monat Dividenden wäre doch auch was cooles?! Oder doch Optionen traden? Immobilien klingen auch interessant! Mehr Finanzwissen ist doch immer besser, oder? Oder?

Leider unterschätzt: Finanzpsychologie im eigenen Kopf

Da neues Finanzwissen lernen so viel Spaß macht, stürzen sich viele noch relative neue Investoren nach dem ersten ETF-Sparplan schnell in neue Investmentvorhaben. Und natürlich beherzigen sie dabei das verinnerlichte Mantra: „Erstmal Finanzwissen aufbauen, bevor man loslegt“. Da aber gefühlt schon einiges an Basiswissen da ist, fällt nicht auf, dass bei aller Beschäftigung mit den technischen Aspekten eines neuen Investitionsprodukts leider doch noch ein paar Basics fehlen. Denn wer z.B. noch keinen Börsencrash durchlebt hat, weiß gar nicht, ob sie tatsächlich so ruhig und entspannt bleibt, wie anfangs gedacht.

Warum investiere ich? Was sind meine Ziele?

Go up and never stop
Eine kleine Portion #mondaymotivation oder was es sonst noch so für Hashtags gibt im Self-Improvement-Bereich

Außerdem fehlt meiner Einschätzung nach oft die Beschäftigung mit den eigenen Zielen und der eigenen Motivation. Denn während am Anfang der Investoren-Karriere eigentlich immer der Wunsch nach Altersvorsorge im Vordergrund steht, gerät dieser durch den neu entdeckten Spaß am Investieren (leider) oft in den Hintergrund. Investieren bzw. kurzfristiges Trading wird plötzlich zum Hobby, obwohl die Rentenlücke rechnerisch noch lange nicht geschlossen ist.

Während ein vollständiger Überblick über die eigenen Einnahmen und Ausgaben in Form eines Haushaltsbuchs zu den Anfangsempfehlungen jedes Finanz-Coachs gehört, ist dies doch immer nur eine Momentaufnahme. Als nächster Schritt, spätestens jedoch nach Einrichtung des ersten Sparplans, muss dann aber auch die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für die (fernere) Zukunft folgen.

Das Ziel nicht aus den Augen verlieren!

Zuerst musst du deine Rentenlücke kennen und deine regelmäßigen Investitionen (egal ob in ETFs oder eine andere langfristig ausgerichtete Anlageklasse) so einrichten, dass diese Rentenlücke bis zum gewünschten Renteneintritt geschlossen sein wird. Hat man bereits genug Geld gespart, nennen Amerikaner diesen Zustand „Coast FI„, da man ab jetzt in Rente gleiten kann.

Wenn dieses erste Ziel erreicht ist, kannst du dein restliches Geld nutzen, um damit möglichst viel Lebensfreude zu generieren oder dir neue finanzielle Ziele setzen, z.B. FIRE (Financially Independent, Retired Early). Und wenn es dir Spaß macht, an der Börse ins kurzfristige Trading einzusteigen oder neues Finanzwissen über andere Anlageklassen und -produkte zu erlangen und anzuwenden, gerne! Mit Altersvorsorge hat dieses Hobby dann allerdings nichts mehr zu tun.

Finanzwissen – gerade in der Krise wichtig

In der Krise ist Finanzwissen doppelt wichtig: Einerseits ist es beruhigend, die Mechanik der Finanzprodukte, in die man investiert hat, und die Mechanik und Psychologie der Märkte zu verstehen. Denn mit diesem Wissen gewappnet erledigen sich viele Sorgen, die weniger gut „gebildete“ Anleger vielleicht haben, zum Beispiel vor Totalverlusten, obwohl jeder Crash erst einmal nur Buchverluste erzeugt.

Andererseits darf man gerade in Krisen, die meist nach wenigen Monaten bereits wieder überwunden und nach ein paar Jahren sogar teilweise vergessen sind, seine langfristigen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Wer zur Aufbesserung seiner Rente in 20 oder 30 Jahren investiert, dem kann ein kurzer Einbruch, der wie jetzt bereits nach nur 6 Monaten fast vollständig wieder aufgeholt sein kann, ziemlich egal sein. Auch diese Wissen bzw. diese Gewissheit kannst du durch Finanzbildung erlangen.

Was gehört für dich zu solider Finanzbildung? Wie würdest du dein Finanzwissen beurteilen? Ist Finanzwissen für dich eher das Wissen über Finanzprodukte und die Mechanik der Märkte oder zählt für dich Finanzpsychologie dazu?

PS: Wenn dir mein Artikel gefallen hat, würde ich mich über deine Stimme im Publikumsvoting des comdirect Finanzblog Awards freuen! 🙂

2 Replies to “Warum ist Finanzwissen gerade in der Krise wichtig? // Wissen und Gewissheit”

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