Was passiert, wenn jeder Aktien und ETFs kauft? // Kapitalistischer Kommunismus

Karl Marx
Lesezeit: 9 Minuten

Wer gerade erst angefangen hat, sich mit Investieren, Aktien und ETFs zu beschäftigen, kommt oft an einen Punkt des Unglaubens. „Das klingt doch zu gut, um wahr zu sein, oder?“ Wenn ich einfach nur lange genug abwarte, also einen ausreichenden Anlagehorizont habe, dann kann ich mit sehr überschaubarem Risiko eine reale Rendite von 5% pro Jahr oder mehr realisieren. Und das bei minimalem Aufwand, denn die Eröffnung eines Depots und die Einrichtung eines Sparplans dauert effektiv weniger als eine Stunde. Und wenn einmal alles eingerichtet ist, muss ich mir jährlich vielleicht noch einmal in Summe eine Stunde Zeit nehmen, um im Depot nach dem Rechten zu schauen. Mehr aus seinem Geld zu machen, könnte kaum einfacher sein.

Andere Arten von Investments, sei es aktives Trading oder Immobilien zur Vermietung sind da deutlich aufwändiger. Und bei genauerem Hinsehen oft sehr risikoreich, sei es durch noch mehr Volatilität oder das Klumpenrisiko. Dafür sind hier nicht unbedingt lange Zeithorizonte erforderlich, die für Aktieninvestments eben eine wichtige Grundvoraussetzung darstellen. Dieser Post aus der Madame Moneypenny Facebook Gruppe fasst den Unglauben von angehenden Aktionären gut zusammen:

Oft sehe ich in Diskussionen auch eine Abwandelung dieser Frage: Was wäre wenn jeder Aktien beziehungsweise ETFs kaufen würde? Wären Aktien in einem solchen Szenario ein schlechteres Investment? Würde Chaos an der Börse ausbrechen? Dieses Gedankenspiel möchte ich heute gerne einmal durchgehen.

Szenario „plötzliche Erleuchtung mit taggleicher Umsetzung“

Auch wenn es unrealistisch ist: Nehmen wir für das erste Szenario des Gedankenexperiments an, dass von heute auf morgen plötzlich alle Deutschen Aktieninvestments durch ETFs für sich entdecken. Wie viel Geld würde dann zusätzlich in den Aktienmarkt fließen? Laut Bundesbank beträgt die Summe der Spareinlagen privater Haushalte in Deutschland Ende März 2021 rund 560 Milliarden Euro. Dazu kommen weitere ca. 250 Milliarden Termineinlagen, also Festgelder. Da diese Gelder nicht für den Zahlungsverkehr, sondern für die Anlage gedacht sind, kann man für das Gedankenexperiment davon ausgehen, dass dieses Geld relativ schnell in den Aktienmarkt investiert werden könnte. Sicherlich gibt es auch noch einiges an Geld, was derzeit auf Girokonten herumliegt und investiert werden könnte, aber das ist schwieriger zu bewerten. Die Summe aus Bargeld und Sichteinlagen (Tagesgeld) privater Haushalte in Deutschland belief sich Ende März 2021 auf ca. 2.000 Milliarden Euro.

Da wir in Deutschland ca. 41,5 Millionen Haushalte haben, hat jeder deutsche Haushalt statistisch gesehen also ca. 13.500 Euro auf dem Sparkonto, 6.000 Euro in Festgeld angelegt und 48.000 Euro auf Giro- und Tagesgeldkonten. Nehmen wir an, dass ein Teil der Spareinlagen noch Rücklagen sind, die nicht investiert werden sollen, z.B. längerfristig angelegte Notgroschen oder Rücklagen für Reparaturen am Eigenheim oder andere Träume wie eine Weltreise. Der Einfachheit halber rechne ich mit 15.000 Euro pro Haushalt, also ca. 623 Milliarden Euro, die in kurzer Zeit nach der plötzlichen Erleuchtung zur Attraktivität von ETF-Investments in den Aktienmarkt fließen würden.

Sind 623 Milliarden viel oder wenig?

Welchen Einfluss diese Summe auf den Aktienmarkt hat, kommt ganz darauf an, mit welchem Wert man die Zahl vergleicht. Würde all dieses Geld an einem einzigen Tag investiert werden, würde komplettes Chaos ausbrechen. An der Börse Frankfurt, der größten deutschen Börse, liegt das durchschnittliche Handelsvolumen pro Tag bei ca. 5-6 Milliarden Euro. 80% des deutschen Aktienhandels laufen über die elektronische Handelsplattform XETRA, die ein monatliches Handelsvolumen von über 125 Milliarden Euro aufweist.

Würde also an einem Tag ein Volumen von 623 Milliarden in den Markt fließen wollen, würden die Handelssysteme mit einem solchen Ansturm höchstwahrscheinlich nicht klarkommen. Beim Game Stop Hype hat man ja bereits gesehen, dass gerade kleinere Börsen, wie die hinter Trade Republic stehende Handelsplattform L&S, mit plötzlichen Spitzen im Handelsvolumen nur schlecht zurechtkommen. Auch würde der plötzliche Aktien-Enthusiasmus durch weitere technische Engpässe wie z.B. ein ggf. notwendiges Authentifizierungsverfahren bei der Depoteröffnung gebremst.

Szenario „plötzliche Erleuchtung mit Umsetzung so schnell wie möglich“

Jetzt ist es aber auch nicht gerade realistisch, dass die gesamten Spareinlagen der Deutschen alle an einem Tag an die Börse drängen würden. Viele Sparbücher und Festgeldkonten haben Kündigungsfristen von teilweise mehreren Monaten. Doch selbst wenn man den Einstieg auf ein ganzes Quartal strecken würde, würde das immer noch einer Verfünffachung bis Versechsfachung des durchschnittlichen Handelsvolumens entsprechen. Denn neben den 623 Milliarden Euro neuem Geld würden sicherlich auch einige Altinvestoren und institutionelle Anleger ihre „Gewinne mitnehmen“ wollen und so weitere Transaktionen erzeugen. Ich bin kein Experte für Börsensysteme, aber denke, dass solch ein Anstieg im Volumen technisch möglich sein sollte. Funktionierende Technik ist aber nur eine Grundvoraussetzung für die viel spannendere Frage, welche Einfluss die 623 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen auf die Aktienkurse hätten. Dafür muss man sich zunächst fragen:

Wohin fließt das Geld?

Welchen Einfluss 623 Milliarden Euro auf die Kurse von Aktien und ETFs hängt ganz entscheidend davon ab, wohin das Geld fließt. Ich habe für das Gedankenexperiment ein paar Szenarien entworfen, auf deren Grundlage man sich eine bessere Vorstellung davon machen kann, welchen Einfluss diese Summe von 623 Milliarden Euro haben könnte:

  1. Alles auf Apple: Das ganze Geld fließt in Aktien des größten börsennotierten Unternehmens der Welt, Apple
  2. Größter ETF der Welt: Das ganze Geld fließt in den größten ETF der Welt (SPY)
  3. 10 Lieblings-ETFs der Deutschen: Das Geld verteilt sich auf die zehn größten in Deutschland handelbaren ETFs
  4. Home Bias: Das Geld fließt in den deutschen Aktienmarkt, also börsennotierte deutsche Unternehmen
  5. Mr. Worldwide: Das Geld fließt in den weltweiten Aktienmarkt, also alle börsennotierten Unternehmen

Alles auf Apple

All in Apple

Stellen wir uns vor, all die deutschen Sparer mit plötzlicher Erleuchtung, die sie zu Aktionären werden lässt, investierten ihr Geld von den Sparkonten ausschließlich in Apple Aktien. Apple ist derzeit das wertvollste börsennotierte Unternehmen. Alle Apple-Aktien zusammen sind 2,45 Billionen US-Dollar wert. Das entspricht 2.450 Milliarden, was dreimal so viel ist, wie die 623 Milliarden Euro (=729 Mill. USD) unserer deutschen Neu-Aktionäre. Wenn also alle zusammenlegen würden, könnten sie somit 34% an Apple erwerben.

Legen jetzt noch die 12,35 Millionen deutschen Bestandsaktionäre ihr Wertpapier-Vermögen obendrauf, könnten wir Deutsche sogar Eigentümer von Apple werden. Nach Angaben der Bundesbank besaßen deutsche Privathaushalte Ende März 2021 Vermögen im Wert von 866 Milliarden in Aktien und weiteren 791 Milliarden in Investmentfonds. Dies entspricht in Summe 1,6 Billionen Euro bzw. 1,9 Billionen US-Dollar. Also einfach alle Bestände verkaufen, alles Geld in einen Topf und schwupps, ist Apple in deutscher Hand!

Größter ETF der Welt

Wer meinen Blog schon länger liest, weiß, dass ich Neu-Aktionären keine Investments in Einzelaktien wie Apple empfehle, sondern in ETFs. Der größte ETF der Welt, bekannt unter dem Kürzel SPY, bildet den amerikanischen S&P 500 Index nach. Als Deutsche kannst du nicht (mehr) direkt in SPY investieren, auch wenn es natürlich andere S&P 500-ETFs für deutsche Anleger gibt. In Summe umfasst der größte ETF der Welt derzeit ein Vermögen (Assets under Management, AuM) von 388 Milliarden US-Dollar.

Man sieht also: selbst wenn plötzlich ein massiver Ruck durch Deutschland geht und das ganze Ersparte, das derzeit auf Festgeldkonten und Sparbüchern von der Inflation aufgefressen wird, plötzlich an der Börse investiert würde – selbst dann wäre das nur etwa doppelt so viel Geld, wie in nur einem (na gut, dem größten) ETF der Welt heute bereits investiert ist. Derzeit gibt es weltweit schätzungsweise etwa 4.000 ETFs, wovon die meisten aber winzig klein sind im Vergleich zum SPY.

Doch das ganze Sparbuch- und Festgeld der Deutschen ist in Summe immer noch weniger als bereits heute in den drei größten S&P 500 ETFs der Welt investiert ist. In Amerika ist das Investment in Wertpapiere für die Altersvorsorge einfach deutlich verbreiteter als in Deutschland. Das sollten wir uns zum Vorbild nehmen. Immerhin war 2020 laut Zahlen des Deutschen Aktieninstituts jeder sechste Deutsche Aktionär (17,5%). In Amerika ist es mehr als jeder zweite (56%).

10 Lieblings-ETFs der Deutschen

Wie schon erwähnt, kann man aus Deutschland heraus nicht (mehr) direkt in SPY, den größten ETF der Welt, investieren. Doch auch bei den für Deutsche handelbaren ETFs ist der S&P 500 Index der beliebteste. Der S&P 500 ETF von iShares (Blackrock) besitzt ein Fondsvermögen (AuM) von derzeit ca. 42 Milliarden Euro. Die 10 größten ETFs kommen zusammen nur auf ein Volumen von 185 Milliarden. Ein Neuzufluss von 623 Milliarden Euro in den deutschen ETF-Markt wäre also wirklich signifikant! Jetzt bildet ein ETF aber natürlich nur einen zugrundeliegenden Index ab, was im Fall von vollständig replizierenden ETFs bedeutet, dass der ETF-Anbieter die entsprechenden Aktien aus dem Index tatsächlich aufkauft.

Eine erhöhte Nachfrage nach einem bestimmten Index-ETFs würde sich also bei solchen hohen Volumen in einer höheren Nachfrage nach den zugrundeliegenden Aktien äußern. Daher macht es mehr Sinn, das Investitionsvolumen von 623 Milliarden Euro mit der Marktkapitalisierung zu vergleichen und nicht mit einzelnen Fonds/ETFs.

Home Bias

Geht es noch deutscher als mit einem Rotkäppchen-Gartenzwerg?

Wenn wir also das Geld statt in die 10 Lieblings-ETFs der Deutschen einfach in den gesamten deutschen Aktienmarkt investieren würden, ergibt sich schon ein ganz anderes Bild. In Summe sind alle börsennotierten Unternehmen in Deutschland 2020 laut Statista gemeinsam 2.284 Milliarden US-Dollar wert. Das ist etwas weniger als Apple. Wie kann das sein? Dass die Zahl recht niedrig ist, liegt auch daran, dass in Deutschland im internationalen Vergleich weniger Unternehmen börsennotiert sind. Bekannte deutsche Firmen wie Aldi, Edeka, REWE, Bosch oder der Schraubenhersteller Würth können gar nicht an der Börse gehandelt werden, sondern befinden sich größtenteils noch in Familienbesitz.

Doch wenn man nur die börsengehandelten Unternehmen in Deutschland betrachtet, bedeutet die niedrige Marktkapitalisierung von weniger als 2,3 Billionen in unserem Gedankenspiel auch eine Chance. Würden sich alle Deutschen zusammentun, könnten wir gemeinsam alle Aktien aller deutschen Aktiengesellschaften besitzen. So viel Home Bias wäre unter Diversifizierungsgesichtspunkten sicherlich nicht empfehlenswert. Karl Marx würde diese Form des kapitalistischen Kommunismus aber vielleicht gefallen. Denn so wäre doch ein Großteil des Kapitals, also der Produktionsmittel, quasi Kollektiveigentum – wenn auch etwas anders als von Marx erdacht 😉

Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

Zitat aus Manifest der Kommunistischen ParteiMarx-Engels-Werke, Band 4, Seite 481

Mr. Worldwide

Markenzeichen von „Mr. Worldwide“ laut Wikipedia: das Aufheulen vor dem Beginn einer Strophe.

Quelle: Eva Rinaldi, CC BY-SA 2.0

Überwindet man den Home Bias und schaut stattdessen auf den weltweiten Aktienmarkt, schrumpft das Gesamtvermögen deutscher Sparer auf Zwergengröße. Die Marktkapitalisierung der börsennotierten Unternehmen weltweit betrug je nach Quelle 2019 zwischen 84 und 95 Billionen US-Dollar. 623 Milliarden Euro entsprechen demnach noch nicht einmal 1% des weltweiten Aktienmarkts. Selbst wenn wir die bestehenden deutschen Aktionäre mit ihren 1,9 Billionen US-Dollar Aktienvermögen hinzurechnen, kommen wir als deutsche Privathaushalte mit einer möglichen Investitionssumme von insgesamt 2,6 Billionen US-Dollar nur auf maximal 3% des weltweiten Aktienmarkts.

Mit einem Rekord-Nettogeldvermögen von inzwischen über 5,1 Billionen Euro, also knapp 6 Billionen US-Dollar, könnten uns bis zu 7% des globalen Aktienmarkts gehören. Wenn wir denn wollten und nicht mehr ganz so viel Geld auf dem Girokonto versauern ließen…

ETFs: Beste Altersvorsorgestrategie ohne Haken

Um von den ganzen Gedankenspielen zurück zur Eingangsfrage zu kommen: Wenn tatsächlich nicht nur jeder 6., sondern alle Bundesbürger die Börse für sich entdecken würden, dann würde das aus meiner Sicht nicht zu Chaos oder Verwerfungen führen. Es ist nicht zu erwarten, dass Millionen von Deutschen alle am gleichen Tag (oder überhaupt im gleichen Quartal) plötzlich an die Börse drängen.

Neben dem Investment von Geld, was auf Bankkonten und Sparbüchern langsam weniger wird, sind Wertpapierinvestments besonders für den langfristigen Vermögensaufbau geeignet. Daher bietet sich viel eher an, einen monatlichen Sparplan einzurichten und das Vermögen so einfach über die Jahrzehnte wachsen zu lassen. Keiner muss Angst haben, dass die Börse bald „ausverkauft“ ist oder es auf Grund hoher Neuanlagevolumen zu Kursübertreibungen kommt. Solange wir Home Bias vermeiden, gibt es noch mehr als genug Aktien, die es sich zu kaufen lohnt.

Und weil es mir zu aufwändig ist, diese zu suchen und zu finden, investiere ich einfach in einen breit diversifizierten ETF. Dann schaue ich meinem Geld beim Wachsen zu und widme mich anderen Hobbys, wie dem Blog. Manchmal ist einfach einfach gut.

Rechnest du manchmal aus, wie viel eines Unternehmens dir als Aktionär gehört? Stellst du dir diesen Anteil dann auch bildlich vor? Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, dass mir irgendwo in einem Telekom-Gebäude eine einzelne Zimmertür gehören würde als Eigentümerin.

4 Replies to “Was passiert, wenn jeder Aktien und ETFs kauft? // Kapitalistischer Kommunismus”

  1. „Stellen wir uns vor, all die deutschen Sparer mit plötzlicher Erleuchtung, die sie zu Aktionären werden lässt, investierten ihr Geld von den Sparkonten ausschließlich in Apple Aktien.“

    Wenn entsprechend viele bereits investierte Apple-Aktionäre bereit wären zu verkaufen, könnte das funktionieren 🙂

  2. Es fließt doch immer auf den Cent genau gleich viel Geld in den Aktienmarkt wie aus den Aktienmarkt. Nachdem die Deutschen für 623 Milliarden Euro Aktien gekauft haben ist das Geld nicht weg, sondern liegt auf den Konten derer, die ihre Aktien verkauft haben.

    1. Hallo Marius,
      in diesem Artikel geht es um ein – hoffentlich unterhaltsames – Gedankenspiel, keine realistische Rechnung. Man müsste sich natürlich ausschließlich auf ausländische Aktionäre als Verkäufer konzentrieren, wenn es darum ginge, den „deutschen Anteil“ am Aktienmarkt zu erhöhen. Würde plötzlich so viel mehr Geld an die Börse drängen, gäbe es sicherlich auch mehr IPOs.
      viele Grüße
      Jenni

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