Magst du deinen Job nicht? // Arbeitsmoral und Motivation

Work Harder
Lesezeit: 6 Minuten

Wenn ich sage, dass ich mit 45 Jahren aufhören möchte zu arbeiten, dann nimmt mein Gegenüber meistens an, dass ich meine Arbeit nicht mag. Dabei finde ich meinen Job ziemlich gut! Ich habe super Kollegen und arbeite an spannenden Themen. Trotzdem fände ich es noch besser, wenn ich nicht arbeiten müsste. Insbesondere weil ich dann in meiner Zeiteinteilung freier wäre.

Sheryl Sandberg, fotografiert von Drew Alitzer für die Financial Times – Lizenz: CC-by-2.0, cropped image

Obwohl ich weiß, dass ich mittelfristig nicht mehr angestellt sein möchte, gebe ich auf der Arbeit 100% statt mich zurückzulehnen. Hier hat mich besonders Sheryl Sandbergs Spruch „Don’t leave before you leave“ beeinflusst. Auch wenn sie diesen Satz in ihrem Buch Lean In natürlich nicht im Zusammenhang mit FIRE geprägt hat, sondern damit werdende Mütter motivieren wollte, sich nicht bereits vor der geplanten Schwangerschaft selbst zu bremsen (nach dem Motto: „Ich bin ja eh bald nicht mehr da“), ist dieser Gedanke für mich ein wichtiger Teil meines Selbstverständnisses geworden.

Was bedeutet Arbeit für dich?

Für mich ist meine Arbeit nicht nur ein Job. Meine Arbeit bietet mir auch in gewisser Weise auch „Erfüllung“ bzw. positive psychologische Effekte. Ich erlebe (kleine und große) Erfolgserlebnisse und lerne immer wieder, dass auch Fehler passieren können und wie man damit umgeht. Meine Arbeit erfordert eine Menge Zusammenarbeit mit anderen Menschen, sowohl mit meinen Teamkollegen als auch mit anderen Personen im Unternehmen. Ich muss also überzeugen und vermitteln, oft auch delegieren, motivieren, Sorgen verstehen und nehmen oder beschwichtigen. Ich erlebe stressige Phasen und ganz selten auch einmal Langeweile. Die Mischung macht’s!

Dazu kommt die Beschäftigung mit interessanten Themen und intellektuelle Herausforderungen. Zwei Textboxen auf einer Powerpoint-Folie so auszurichten, dass sie genau untereinander stehen, zählt jetzt natürlich nicht zu den besonders herausfordernden Aufgaben, aber auch solche Tätigkeiten brauche ich für meinen Kopf als kleine Verschnaufpause zwischendurch. Ich versuche die Zeit, die mein PC morgens zum Hochfahren braucht, auch immer als „erzwungene Meditationszeit“ zu interpretieren, aber bisher mit wenig Erfolg 😉

Tasse mit Schriftzug "Hustle"
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Die positiven Aspekte eines Arbeitsplatzes

Wer sich jeden Morgen ärgert, wieder mit all den anderen Pendlern im Stau zu stehen oder innerlich seine Chefin oder die Nachbar-Abteilung verflucht, weil die „mal wieder nichts hinbekommen haben“, der ist vielleicht überrascht, dass Arbeit für mich eine Menge positiver Aspekte hat. Selbst wenn dein Job (objektiv?) eher langweilig ist oder sich die Inhalte deiner Arbeit einfach nicht mit deinen privaten Interessen überschneiden, hat ein Job trotzdem einige wichtige Funktionen:

Strukturierter Tagesablauf

Zunächst einmal ist man durch seine Arbeit zu einem halbwegs strukturierten Tagesablauf gezwungen. Wenn man zu einer bestimmten Zeit anfangen muss (oder sollte) zu arbeiten, klingelt der Wecker höchstwahrscheinlich jeden Tag zur gleichen Zeit. Laut aller möglichen Motivationscoaches und Business-Artikel sei ein hochgradig strukturierter Tagesablauf der ultimative Schlüssel zu Produktivität und Erfolg.

Kalender und Computer
Instagram-worthy Wochenplaner

Soziale Kontakte

Die wenigstens Menschen arbeiten ganz für sich alleine. Das heißt, dass man am Arbeitsplatz automatisch auf andere Menschen trifft, z.B. Kollegen oder Kunden. Für introvertierte Menschen reicht die Mittagspause mit Kollegen oder der Kaffeklatsch in der Küche vielleicht schon aus, um die „tägliche Dosis soziale Kontakte“ abzudecken. Es ist wissenschaftliche erwiesen, dass Menschen mit einem guten sozialen Netz länger leben als Einsame. Der Arbeitsplatz spielt dabei für viele Menschen eine wichtige Rolle, denn immerhin 50% gaben in einer deutschen Studie von Xing an, im Büro bereits Freundschaften fürs Leben geschlossen zu haben.

Sense of Purpose

Ein „Sense of Purpose“, also das Gefühl, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, fehlt vielen Arbeitnehmern bei ihrem Job. Einer Lehrerin oder einem Kindergärtner fällt es wahrscheinlich etwas leichter, die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit tagtäglich zu sehen und spüren. Das ist bei anderen Berufen manchmal schwieriger. Aber selbst wenn man selbst den Sinn in der eigenen Arbeit oft oder vielleicht auch gar nicht (mehr) erkennen kann, so kann man sich zumindest mit dem Gedanken trösten, dass jemand (das Unternehmen) bereit ist, einem Geld dafür zu zahlen, was man da tagein, tagaus macht. Wenn es komplett sinnlos wäre, würde einen ja keiner dafür bezahlen, oder?

Macht, Ansehen und Status

Es ist für Menschen ganz normal, nach Anerkennung anderer zu streben. Wenn man etwas besonders gut kann oder etwas erreicht hat, kann man darauf stolz sein. Zusätzlich ist vielen Menschen aber auch wichtig, von anderen, teilweise ganz fremden Menschen, bewundert zu werden.

Das kann also auch eine Motivation für die eigene Arbeit bzw. das berufliche Vorankommen sein: Wer mehr verdient, kann sich mehr Statussymbole kaufen. Ein besseres Auto, ein größeres Haus und luxuriösere Möbel und Kleidung. Diese Gegenstände zeigt den (vermeintlichen) Status des Besitzers und sollen Ansehen oder auch direkt Neid hervorrufen. Mir persönlich sind solche Statussymbole ziemlich egal.

Frau mit Ring, auf dem "I am Badass" steht
Bääm?

Doch auch im Kleinen bietet die Arbeit mehr als genug Möglichkeiten, seine (vermeintliche) Überlegenheit zu demonstrieren und Macht auszuüben. Genug Menschen bilden sich etwas auf die bestehende Hierarchie im Unternehmen ein und gehen z.B. nicht aus Telefon, wenn der Anrufer nicht auf der gleichen Hierarchiestufe ist. Oder beantworten eine (einfach zu bearbeitende) Anfrage nicht ohne „Erlaubnis“ der Vorgesetzten. In vielen Unternehmen gibt es auch regelrechte Feindschaften zwischen verschiedenen Teams oder Abteilungen.

Lob und Anerkennung

Unabhängig von diesen kleinen und großen Gemeinheiten gibt es natürlich auch noch das Gegenteil: Lob und Anerkennung, die man so als Erwachsener außerhalb des Arbeitsplatz kaum noch explizit ausgesprochen bekommt. Während einen die eigenen Eltern als Kind und Jugendlicher noch regelmäßig für ein besonders schön gemaltes Bild, gute Noten oder gewonnene Sportturniere gelobt haben, fehlt diese Default-Person für Lob im Erwachsenenleben der meisten Menschen. Auch wenn das schöne Sprichwort „Nicht geschimpft ist genug gelobt“ meiner Erfahrung nach zum Kern des deutschen Selbstverständnisses gehört, ist die eigene Arbeit doch oft der Ort, auf den viele Menschen all ihre Hoffnungen auf Lob und Anerkennung im Erwachsenenleben setzen.

Wird dir das alles nicht fehlen in der RE-Zeit?

Good vibes only

Ich glaube nicht! Einige Funktionen von Arbeit habe ich selbst in der Hand. Ich kann mir z.B. einen strukturierten Tagesablauf durch regelmäßige Termine und Routinen selbst erzeugen, wenn mir danach ist. Ich freue mich jetzt schon auf das Ausschlafen. Gleichzeitig weiß ich, dass ich morgens auch schwer aus dem Bett komme und gerne noch einmal ein halbes Stündchen faulenze. Dem kann ich aber durch feste Termine am Vormittag eine gewisse Grenze setzen, ohne unausgeschlafen um 6 Uhr früh den Wecker verfluchen zu müssen.

Genauso habe ich es komplett selbst in der Hand, meinen Kopf durch neue Impulse fit zu halten und gute soziale Kontakte zu pflegen.

Ein bisschen schwieriger wird es beim Thema Anerkennung. Während ich bei Machtspielchen eher die Augen verdrehen, wäre es natürlich eine Lüge, wenn ich behaupten würde, dass ich mich über Lob und Anerkennung nicht freuen würde! Ich denke aber, dass ich durch ehrenamtliches Engagement nicht nur dieses Bedürfnis abdecken kann, sondern auch vermeide, dass ich auf Grund eines Mangels an Sinnhaftigkeit verzweifele. Egal, was genau ich ehrenamtlich machen werde (z.B. im Bereich Bildung, Wissenschaft, Finanzen) – es wird wahrscheinlich um Längen sinnhafter sein als mein aktueller Job in der Finanzbranche.

Glück mit Gemütlichkeit?

Niedliche Hausschuhe, Füße hochgelegt
Bin leider nicht ich auf dem Bild, aber ich feier es – 100% ich!

Ein Fragezeichen sind für mich noch das Thema Emotionsdiversität und Umgang mit Fehlern. Wenn ich mir mein eigenes Leben so gestalten kann, wie es mir gefällt, dann wird sich dies eher in meiner Komfortzone abspielen als wenn ich äußeren Einflüssen unterliege. Ist es langfristig gut oder schlecht für mich, negativen Erlebnissen und Emotionen nach Möglichkeit eher aus dem Weg zu gehen? Ein bisschen Aufregung bzw. Nervosität, z.B. weil man gleich eine wichtige Präsentation halten muss, hat sicherlich noch niemandem langfristig geschadet. Auch der Umgang mit kleinen Fehlern, z.B. mit einer Anfrage in einer anderen Abteilung auf Grund von vorher unbekannten politischen Faktoren gescheitert zu sein, stärkt mich meiner Meinung für spätere Herausforderungen – auch wenn es sich um noch so unwichtige „Fehler“ handelt. Zu diesem Thema gibt es neben tausenden schlauen Kalendersprüchen und Motivationspostern auch wissenschaftliche Forschung.

Am Ende glaube ich aber auch hier daran, meines eigenen Glückes Schmied zu sein (um jetzt nochmal eine deutsche Redewendung zu bemühen). Ich selbst bin dafür verantwortlich, mich herauszufordern, neues zu probieren und mir die Möglichkeit zum Scheitern zu geben, um daraus wieder gestärkt hervorzugehen.

Wie siehst du das? Soll ich mich auch später aus meiner Komfortzone herauszwingen oder es lieber mit Gemütlichkeit probieren?

Welche Funktionen erfüllt deine Arbeit für dich? Empfindest du deine Arbeit als sinnstiftend? Wie motivierst du dich, insbesondere auf dem Weg zu FIRE?

2 Replies to “Magst du deinen Job nicht? // Arbeitsmoral und Motivation”

  1. Sehr interessante Gedanken, ich muss sagen, dass ich mich mit dem Thema des mangelnden Lobs/Anerkennung gar nicht beschäftigt habe bevor ich meinen Vollzeitjob gekündigt habe. Nun arbeite ich seit ein paar Monaten selbstständig und obwohl es sehr viele Vorteile hat fehlen mir die von dir genannten Punkte mehr als ich erwartet hatte. Merkwürdig wie sehr man sich manchmal über das Lob anderer definiert nicht wahr? 😉

    1. Ja, das kann ich mir vorstellen, dass es ein großer Kontrast ist zu einem Angestelltenverhältnis! Da musst du dich einfach mehr selbst loben 🙂

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